
Es ist Sonntagmorgen. Die Sonne vertreibt die Kühle der Nacht und lässt die Umgebung in hellem Licht erscheinen. Ein herrlicher Tag, wie geschaffen zum Motorrad fahren, ist erwacht. Flugs die Garage aufgesperrt, die Maschine herausgeholt und in die Sonne gestellt. Helm auf, Handschuhe an und noch einmal einen bewundernden Blick auf das Kunstwerk aus Stahl und diversen anderen Materialien geworfen. Ein Druck auf den Starter erweckt den Motor zum Leben, das Motorrad drängt einmal kurz zur Seite, um dann im Leerlauf das boxertypische Schütteln an den Tag zu legen, begleitet von einem bassigen Brummen. Alles ist so, wie Boxerfahrer es lieben, auch wenn es bei anderen nur ein leichtes Stirnrunzeln verursacht.

Motorradfahren besteht auch aus Emotionen
Das Kunstwerk, welches sich da gerade in der Sonne aalt und auf eine Sonntagsrunde wartet, ist eine BMW R 1200 R Classic, wunderschön in Schwarz und Weiß lackiert und mit diversen Zubehörteilen weiter aufgewertet. Aber was hat das mit einem Bericht zu tun, in dem über die Erfahrungen mit einem Motorrad in mehr als 18.000 zurückgelegten Kilometern berichtet werden soll? Motorradfahren besteht nach unserer Ansicht aber nicht nur aus Zahlen und Fakten, aus Konstruktionsbeschreibungen und Mängelberichten, wenn ein Teil mal nicht richtig funktioniert hat. Nein, Motorradfahren besteht in einem wesentlichen Teil aus Emotionen, erst dann kommen die Zahlen und Fakten.
Befassen wir uns erstmal mit den nackten Fakten
Aber beginnen wir mit den Zahlen und Fakten: Die BMW R 1200 R Classic des Baujahrs 2013 gehört zur Kategorie der Naked Bikes, auch wenn sie bei BMW als Roadster bezeichnet wird. Die Zweifarblackierung in Schwarz und Weiß ist ausschließlich der Classic vorbehalten, die sich von der normalen R 1200 R außerdem durch verchromte Spiegel und den ebenfalls in Chrom gehaltenen mächtigen Schalldämpfer sowie den wunderschönen Speichenrädern unterscheidet. Unsere Classic kommt dank einer von Wunderlich stammenden, ebenfalls zweifarbigen Lampenschale mit integrierter Scheibe noch ein wenig klassischer daher. Rahmen, Gabel, Antriebsstrang und Ventildeckel in Silber stellen einen gelungenen Kontrast zum Tank und zur übrigen Verkleidung dar. Zur klassischen Linie passen auch die beiden gut ablesbaren Rundinstrumente des Cockpits. Kommen wir zum Herz der BMW, dem Motor: Aus den 1.170 cm³ holen die BMW-Ingenieure kraftvolle 110 PS heraus. Hinzu kommt dank eines neuen Zylinderkopfs und einer elektronisch gesteuerten Klappe im Auspuff ein gegenüber den Vorgängermotoren höheres Drehmoment, was sich im Alltagsbetrieb sehr positiv bemerkbar macht. Damit einhergehend haben die Ingenieure der Classic einen gemäßigten Durst anerzogen. 4,6 Liter Durchschnittsverbrauch können sich durchaus sehen lassen und schonen obendrein auch noch den Geldbeutel. Besonders wenn sie während der beiden gefahrenen Saisons überall unterwegs war: Dolomiten, Salzburger Land, Tirol, Schweiz, Kärnten, Italien und fast allen deutschen Mittelgebirgen.
Getriebe und Kupplung der Classic harmonieren sehr gut
Dass es BMW nicht gelungen ist, eine wirklich funktionierende Tankanzeige in unser Testmotorrad einzubauen, ist allerdings angesichts der doch fortgeschrittenen technischen Möglichkeiten recht blamabel. Ein gelbes Lämpchen und der Tageskilometerzähler tun es zwar auch, erinnern uns allerdings an vergangene Zeiten. Der bei den BMW-Boxern obligatorische Schluck aus der Ölpulle fiel bemerkenswert klein aus, obwohl der Motor keineswegs geschont wurde. Der Ritt durch das nutzbare Drehzahlband bis hinauf zu 8.500 Umdrehungen war keine Seltenheit und bereitete Spaß. Seidenweich und ohne Leistungsloch dreht der Motor bis an den Begrenzer und entwickelt dabei einen satten, kräftigen Basston. Lediglich im dritten und vierten Gang macht sich bei ca. 3.500 U/min ein leichtes Konstantfahrruckeln bemerkbar. Ganz im Gegensatz zu BMW-Getrieben vergangener Jahre, lässt sich das Getriebe leicht und butterweich schalten. Man hat offensichtlich doch gelernt, Getriebe zu entwickeln, die auch nach fast zwei Jahren gut funktionieren. Die leichtgängige und sehr gut zu dosierende Kupplung ist in diesem Zusammenhang ebenfalls lobend zu erwähnen. Die Antriebseinheit der Classic verdient sich also insgesamt ein dickes Lob.
Auch das Fahrwerk überzeugt
Gleiches gilt für das Fahrwerk. Das in unserer Maschine verbaute ESA (electronically adjustable suspension) erlaubt es dem Fahrer oder der Fahrerin, die Abstimmung des Fahrwerks an die jeweiligen Straßenverhältnisse, den Beladungszustand (Gepäck, zweite Person) und die eigenen Komfortbedürfnisse anzupassen. Dies ist auch während der Fahrt möglich. Das Verhältnis von Komfort und Fahrstabilität kann als gut gelungen bezeichnet werden. Hierzu trägt auch der an der unteren Gabelbrücke monierte Lenkungsdämpfer bei, der allerdings im Rangierbetrieb die Leichtigkeit ein wenig vermissen lässt. Der niedrige Schwerpunkt der Classic gleicht dieses kleine Manko im Langsamfahrbetrieb aber wieder aus und verleiht dem 237 Kilogramm schweren Roadster dennoch die von uns mit Freude festgestellte Leichtfüßigkeit. Neben dem ESA-Fahrwerk trägt die Traktionskontrolle ASC wesentlich zur Stabilität bei, was sich natürlich vor allem beim Beschleunigen auf nassem oder rutschigen Fahrbahnbelag vorteilhaft bemerkbar macht. Zum Fahrwerk gehört natürlich auch die Bremsanlage und die ist wirklich erste Sahne. Bissig und sehr gut dosierbar zugleich gehören die Brembos zum besten, was der Markt hergibt. Kombiniert mit dem ohnehin hervorragenden ABS versetzt sie den Fahrer in die Lage, die fast fünf Zentner beliebig oft aus hohen Geschwindigkeiten bis zum Stillstand zu verzögern. Eben eine Bremsanlage der Referenzklasse. Das konnten wir leider von dem serienmäßig montierten Reifen (Metzler Roadtec Z8 Interact) nicht wirklich sagen, so dass wir ihn nach 7.500 km gegen einen Bridgestone S20 Evo austauschten. Wunderschön neutral im Einlenkverhalten und mit Grip ohne Ende harmonierte der Evo mit der Classic bis zu seinem Ende. Trotz flotter Fahrweise war dieses, dank Traktionskontrolle, erst nach guten 11.000 Kilometern erreicht.