Es kommt nicht allzu oft vor, dass man sich im Anschluss an eine ziemlich lange Fahrpräsentation noch eine kurze Fahrt bei Dunkelheit wünscht. Bei diesem Bike war es so, trotz des wirklich langen Tages, der morgens um 03:45 Uhr begann, um den ersten Flieger zu erwischen: Die neue Yamaha Tracer 9 GT kommt als erstes Serienbike mit adaptivem Matrix-LED-Scheinwerfer. Bedeutet: Sie hat eine Armada von beweglichen LEDs in der Front, die gemeinsam einen extrem hellen Lichtteppich erzeugen, den man so wohl noch an – beziehungsweise vor – keinem anderen Motorrad gesehen hat.
Im Stil von Autos mit Matrix-LED-Technik sorgt die adaptive Tracer-Matrix immer für die bestmögliche Ausleuchtung der Fahrbahn und der Fahrzeugumgebung. Über eine Kamera in der Frontverkleidung erfasst sie entgegenkommende und vor dem Bike fahrende Autos, Busse, Lkw, Motorräder etc. Um die nicht zu blenden, knipst die Matrixtechnik einzelne (Fern-)Lichtelemente aus, leuchtet aber weiter den Bereich vor dem Motorrad samt Straßenrand perfekt aus und dazu in Kurven hinein. Das Ganze mit einer Helligkeit und Gleichmäßigkeit, die wirklich verblüfft. Unser Matrix-LED-Test fand auf einem monströs großen, unbeleuchteten Anleger am Meer samt Badelandschaft und Spielplatz statt. Gegenverkehr gab es nicht. Immerhin war es stockdunkel – und das Ergebnis: im wahrsten Sinne erleuchtend.
„Ändere deine Perspektive“ – so lautet einer der Werbesprüche für die neue Yamaha Tracer 9 GT. Den modernen Sport-Tourer treibt wie gehabt Yamahas Allzweckwaffe an, namens CP3. Der drehmomentstarke Dreizylindermotor befeuert bekanntlich auch das Hyper-Naked-Bike MT-09, die Sport-Heritage-Renner XSR900 & XSR900 GP sowie das neue Straßen-Superbike R9. Stramme 119 PS bei 10.000 Touren und 93 Nm bei 7.000 Umdrehungen pro Minute stellt der CP3 zur Verfügung. Per Kette und 6-Gang-Getriebe gelangt die Triple-Power ans Hinterrad und schiebt die Tracer 9 GT höchst erbaulich an.
Großes Kino bietet das TFT-Display mit seinen drei Darstellungs-Layouts. 7 Zoll misst die Bildschirmdiagonale, das sind fast 18 Zentimeter. Über die Yamaha MyRide-App können Anrufe und Nachrichten empfangen sowie Musik gehört werden. Zusätzlich zur klassischen Smartphone-Konnektivität gibt es noch die Garmin LinkBox mit integriertem Navigationssystem (Motorize). Tracer-Käufer bekommen die Navi-Funktion kostenlos. Eine feine Sache: Die Routenführung läuft großflächig auf dem TFT-Display. Äußerst praktisch: Drückt man die Home-Taste an der linken Lenkerbedieneinheit etwas länger, wechselt der Bildschirm den Darstellungsmodus. Routenführung oder normale Cockpitanzeige – das kennen wir bereits von den neuen Modellgenerationen der MT-09, MT-07 und Sportrollern wie dem TMAX. Fürs Smartphone gibt es rechts am Tank ein praktisches Ablage- und Ladefach (USB-C). Darin kann alternativ auch der Smart-Key geparkt werden, dessen Anwesenheit zudem den Tank und die serienmäßigen Hartschalenkoffer entsperrt. 30 Liter gehen hinein rechts und links, beleuchtet sind sie auch – smart gemacht.
Die Bedieneinheit wirkt auf den ersten Blick ganz schön komplex, lässt sich aber easy steuern: oben Tempomat inklusive Geschwindigkeitsbegrenzer, in der Mitte der Fünfwege-Joystick samt Home-Taste, darunter Yamahas neuer Blinkerknubbel (flacher Anschlag nach links, große Wippe nach rechts) samt Hupe und Warnblinker. Der breite Touring-Windschild kann elektrisch in die Höhe fahren: 100 mm geht es rauf beziehungsweise runter. Ordentlich Druck von der Brust nimmt er schon in der Grundeinstellung. Auf höchster Stufe unterbindet er dann Fahrtwindgeräusche am Helm nahezu komplett (bei meiner Durchschnittsgröße jedenfalls). Ohnehin ist die Tracer 9 GT ein leises Bike: 94 dB(A) Standgeräusch klingen zwar amtlich, aber beim Fahren hält sich der Sport-Tourer vornehm zurück – es sei denn, man reißt beherzt am Gas. Dann schmettert die Tracer 9 GT Japans Interpretation des Walkürenritts. Note 1+ mit Sternchen fürs Sounddesign.
Die Sitzposition ist ausgezeichnet: breiter Lenker, angenehme Sitzhöhe, entspannter Kniewinkel – das passt. Die neue zweiteilige Sitzbank ist besser gepolstert als beim Vorgängermodell. Der Fahrersitz lässt sich auf zwei Höhen einstellen: 845 mm und 860 mm. Dank der Verschlankung am Übergang Tank/Sitzbank erreicht man als 1,80-Meter-Männeken bei beiden Höhen solide den Boden. Im Zubehör gibt es alternative Komfortsitze für Fahrer und Beifahrer. Die für lange Strecken und Ganzjahresfahrten empfehlenswerte Variante mit Heizfunktion kostet 434,95 Euro für den Fahrer und 381,95 Euro als Beifahrerwarmhaltebank.
Das voll einstellbare, elektronische KYB-Fahrwerk passt die Dämpfung dynamisch an und macht erwartungsgemäß einen hervorragenden Job. Sänftenartig bügelt die 9 GT über schlechte Strecken. Die Rückmeldung bei sportlicher Fahrt ist exzellent, das 17-Zoll-Vorderrad flößt ab den ersten Metern viel Vertrauen ein. Ein Reifendruckkontrollsystem spendiert Yamaha allerdings nur der 9 GT+ serienmäßig, bei der GT kostet es Aufpreis (208,95 Euro).
19 Liter fasst der Tank, macht rein rechnerisch 380 Kilometer Reichweite. 5,0 Liter auf 100 km gibt Yamaha an. Mein Testbike begnügte sich bei durchaus sportlicher Testfahrt mit 4,9 Litern. Löblich. Zwei Farben gibt es für die Tracer 9 GT: Ceramic Grey und Tech Black. Beide gibt es ab 16.049,-- Euro. Wer seine Tracer 9 lieber in Cobalt Blue oder Icon Performance fahren möchte, muss zum Topmodell GT+ greifen. Elektronisch sind beide Varianten dank 6-Achsen-IMU auf der Höhe der Zeit: schräglagenabhängig arbeitende Traktionskontrolle, Kurven-ABS, Slide Control, Wheelie Control, Bremskontrolle, Tempomat – alles serienmäßig an Bord, dazu Fahrmodi, Fahrzeughalteassistent (Berganfahrhilfe, nur mit Y-AMT), Notbremssignal und selbstrückstellende Blinker.
Yamaha hat seinen ohnehin guten Sport-Tourer punktgenau verbessert. Schon die Schaltvariante bietet hohen Reisekomfort und sehr sportliche Fahreigenschaften. Das Matrix-LED-Licht setzt fraglos Maßstäbe. Allein das ist ein Kaufargument.